© Phillip Medhurst, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
Wenn das letzte Buch der Bibel zeigen will, wie Jesus Christus die Welt erlöst und alles zur Vollendung bringt, dann muss doch Weihnachten irgendwie darin vorkommen. An Weihnachten zeigt sich uns Gott. Er erniedrigt sich selbst und kommt zu uns Menschen. Das ist nicht nur eine Vorgeschichte, sondern das offenbart das Wesen Gottes. In der Offenbarung hingegen tritt Christus von Anfang an als Weltenherrscher auf, der auf dem Thron sitzt. Wo ist da das Menschwerden von Gott zu finden?
Ich folge dem Kommentar von Jacques Ellul, der eine zentrale Botschaft dort vermutet, wo das siebte Siegel geöffnet wird. Schliesslich gibt erst das letzte Siegel den Inhalt des Buches frei. Und genau da stellt Ellul etwas Besonderes fest: Christus ist abwesend. Während sonst in allen Teilen der Offenbarung Christus, der auf dem Thron Gottes sitzt, die bestimmende Gestalt ist, scheint er hier über mehrere Kapitel (8,5 – 14,1) zu fehlen. So genau habe ich mir das tatsächlich noch nie überlegt: Sah der Himmel entleert aus, als sich Christus auf die Erde begab? Der Gedanke vom vakanten Thron und entfesselten Mächten auf der Erde beschäftigt mich, allen Trinitätslehren und theologischen Fragen zum Trotz. Der Himmel hielt den Atem an, vor dem, was kommen sollte.
Weihnächtlich klingt das Chaos, das in diesen Kapiteln beschrieben wird, nicht. Es erinnert an die Plagen in Ägypten und die Sintflut. Beides mündete in einer grossen Erlösungstat. Ellul hält allerdings noch eine weitere Erklärung bereit, die mich eine tiefere Deutung von Weihnachten erahnen lässt. In Offenbarung 8,3-6 wird beschrieben, wie ein Engel an den Räucheraltar und damit ins Zentrum des Heiligtums tritt. Er nimmt glühende Kohlen aus dem Feuer, die Läuterung zu bewirken vermag, und schüttet sie auf die Erde. Diese Handlung wird mit Fanfaren der Posaunen angekündigt, löst jedoch dramatischste Erschütterungen der ganzen Erde aus. Ist diese heilige Kohle Christus selbst, der sich in die Welt begibt? Was löst es auf der Erde und bei uns selber aus, wenn Heiliges in unsere Welt einbricht? Ellul schreibt dazu: «Wenn Gott kommt, um den Menschen zu befreien, so wird er seiner Freiheit gar nicht gewahr, er protestiert vielmehr gegen das Zerbrechen der wunderschönen Dinge, die seine Ketten und Kerkertüren sind, die angebeteten Fesseln seiner Knechtschaft.»
Ja, wenn mit Weihnachten das Heilige in unsere Welt eindringt, dürfte das nicht nur die Mächtigen, die von Ungerechtigkeiten profitieren, sondern auch mich erschrecken. Mir hat dieses Bild jedenfalls Mut gemacht, auf einer tiefgreifenderen Ebene an Frieden und Freiheit zu denken und zu glauben.
Joel Keller




