Rut und Resilienz - Teil 2

Betrachtungen von Xandi Bischoff

Die Geschichte der Resilienz im Buch Rut geht weiter. Es kommt es zu einer ersten Begegnung zwischen Boas und Rut. Der Dialog beginnt so:

 

Da sagte Boas zu Rut: Du hörst, meine Tochter, nicht wahr? Geh nicht auf ein anderes Feld, um Ähren zu lesen, und geh auch nicht weg von hier, sondern bleib bei meinen jungen Frauen und verhalte dich so: Richte deine Augen auf das Feld, wo man schneidet, und gehe hinter den Frauen her. Habe ich nicht den Männern geboten, dich nicht anzutasten? Und wenn du Durst hast, geh zu den Krügen und trink von dem, was die Männer schöpfen.

 

Ein weiterer Resilienzfaktor ist Schutz. Die Gefahr von Übergriffen ist real. Sie wird im Buch Rut mehrmals erwähnt. Rut braucht Schutz: sie findet Schutz, indem sie tut, wozu ihr geraten wird. Rut muss sich, darf sich helfen lassen. Sie ist resilient, sie lässt sich nicht antasten, sie kann Distanz wahren, sie wird nicht von Übergriffen kaputtgemacht.

 

Noch eine Definition von Resilienz: „Unter Resilienz wird die Fähigkeit von Menschen verstanden, Krisen im Lebenszyklus unter Rückgriff auf persönliche und soziale Ressourcen zu meistern und als Anlass für Entwicklung zu nutzen“(Welter-Enderlin).

 

Ich habe mit einer Frau zusammenarbeiten dürfen, die mich in ihrer Resilienz an Rut erinnert: Eda Kaseko war die Leiterin einer neuen Krankenpflege-Schule in Tansania. Sie war ein gutes Beispiel für die Resilienz-Haltung des Selbstschutzes. Sie verstand es, sich vor den Übergriffen und Vereinnahmungen von Männern zu schützen, und zwar vor Männern kirchlicher Institutionen. Da gab es eine zerstrittene Kirchenleitung – Bischof, Sekretär, Chairman, drei Köpfe, die alle das Sagen haben wollten – da gab einen Arzt, der eigentlich kein Arzt, aber Direktor des Spitals war, das heisst gewesen war, weil er «gegangen» worden war, aber nicht ging, weil man niemand fand, der den Job übernehmen wollte, und der eifersüchtig war, dass die Gelder aus der Schweiz für die Krankenpflege-Schule aber nicht für das Spital bestimmt waren. Da gab es noch andere – aber lassen wir das mal. Darin die Mama Eda, die es irgendwie schaffte, nicht kaputtzugehen, die zwar geknickt wurde, aber nicht zerbrach, die die Männer respektierte, aber Distanz halten konnte, und so selber respektiert blieb; schliesslich ist sie Nurse, Krankenschwester, mit viel Erfahrung in kirchlichen Projekten, aber auch im Gesundheitsministerium. Mama Eda: was die sich alles bieten liess, ohne hart zu werden.

Da fiel Rut nieder auf ihr Angesicht, verneigte sich zur Erde und sagte zu Boas: Warum habe ich Gnade gefunden in deinen Augen, dass du mir deine Beachtung schenkst? Ich bin doch eine Fremde. … Du hast Vater und Mutter und dein Geburtsland verlassen und bist zu einem Volk gezogen, das du zuvor nicht kanntest. Der HERR vergelte dir dein Tun, und voller Lohn soll dir zuteil werden vom HERRN, dem Gott Israels, zu dem du gekommen bist, um Zuflucht zu finden unter seinen Flügeln.

Das ist die Entwicklung, die dank der Resilienz möglich ist: Ruts Identität wird stärker. Dass du mir Beachtung schenkst! Zudem bekommt Rut eine Verheissung – „Zuflucht finden unter seinen Flügeln“.

Das macht stark, das macht widerstandskräftig, das macht resilient, das gibt eine starke innere Kraft und Identität. Die Kurzgeschichte zeigt es weiter: Rut sagte: Ich finde Gnade in deinen Augen, mein Herr. Denn du hast mich getröstet und zum Herzen deiner Sklavin gesprochen. Ich aber bin nicht wie eine deiner Sklavinnen … Dann erhob sie sich, um Ähren zu lesen, und Boas befahl seinen jungen Männern: Sie darf auch zwischen den Garben Ähren lesen, und ihr sollt ihr nicht nahe treten… So las sie bis zum Abend Ähren auf dem Feld, dann klopfte sie aus, was sie aufgelesen hatte.

Hier sehe ich einen weiteren Resilienz-Faktor von Rut: Würde. Ich aber bin nicht wie eine deiner Sklavinnen. Das ist der richtige Widerstand, das ist die richtige Widerstandskraft. (Wieder ist von den jungen Männern die Rede, die Rut nicht zu nahekommen sollen). Wenn man das hat, kann man leben (und nicht nur überleben).  Das überträgt sich auf die Beziehungen. Vielleicht sollte ich den Resilienz-Faktor umformulieren: Würde durch stärkende, gesunde Beziehungen.

Fortsetzung folgt!

 

Xandi Bischoff

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